Montag, 19. August 2013

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Ich habe recht unruhig geschlafen. Direkt draußen vor dem Fenster die Hauptstraße, aber wenn die Fenster nicht geöffnet sind, erstickt man. Halb acht stehe ich auf,  kämpfe mit der Dusche. Es dauert, bis warmes Wasser aus der Leitung kommt, dann will es gar nicht mehr aufhören. Zum  Frühstück gibt’s Cornflakes oder Toast mit Marmelade  –  ich entscheide mich für Cornflakes. Außer mir ist niemand im Speiseraum. Ich packe meine Sachen und mache mich auf den Weg in die Stadt. Zuerst einmal zur Bank,  70 Lats müssen reichen, denke ich. Ich schlendere durch die Gassen und ärgere mich schon bald,  keinen Rucksack mitgenommen zu haben. Die Umhängetasche ist doch unbequemer als ich dachte. Na, da muss ich wohl durch, was? Ich gehe bis zur Bushaltestelle an den Markthallen,  das dauert keine 15 Minuten. Die Marktstände vor den Hallen quillen über vor sorgfältig aufgestapeltem Gemüse und Obst. Wer einen Platz in der ersten Reihe ergattert hat, hat schon gewonnen.  Digitalwaagen sind Fehlanzeige, alte Kaufmannswaagen in verschiedensten Farben konkurrieren vom Alter her mit ihren Besitzerinnen. Die Preise sind günstig:  250 g Him- oder Blaubeeren für 1 Lats, umgerechnet 1,50  €. Melonen gibt es je nach Händler für 0,25  oder 0,30 Lats das  Kilo. Ich begebe mich in die Markthallen. Jede beherbergt andere Lebensmittel. Obst und Gemüse wird nun “offen” angeboten, meistens schon fertig als Salat zubereitet. In der Geflügelhalle darf nicht fotografiert werden, in der Fischhalle frage ich mich,  wer diese Mengen überhaupt essen soll. Auf dem Rückweg verfranse ich mich ein wenig,  ohne Sonne und ausführlichem Stadtplan ist die Orientierung in den verwinkelten Gassen gar nicht so einfach. Zurück im  Hostel verstaue ich meine Einkäufe (ich brauchte dringend Getränke) und unnötige Dinge im großen Rucksack,  suche die Toiletten auf und mache mich auf den Weg zum Dom. Unterwegs kaufe ich Postkarten. Bis zum Orgelkonzert im Dom dauert es noch eine gute Stunde.  Ich bezahle meine 5 Lats und besichtige den größten Kirchenbau des Baltikums, mit dessen Bau bereits 1211 begonnen wurde. Im Kreuzgang lagern Figuren, die früher den Dom von außen schmückten. Im Schatten zweier Apfelbäume (sehen mir stark nach WIldapfel aus) schreibe ich Postkarten und schaue im Reiseführer nach, was man in Riga noch unbedingt erleben sollte. Als ich um 11.50 Uhr den Dom betrete, ist das Kirchenschiff bereits gut gefüllt. Bis zum Glockenschlag, der den Beginn des Konzerts ankündigt, sind nahezu alle Plätze belegt.  Reisegruppen und Schulklassen, Arbeiter in ihrer Mittagspause und Touristen mischen sich in den schweren Holzbänken.  Die ersten Töne erklingen und erfüllen das gesamte Kirchenschiff. 6768 Pfeifen stellt die 1884 in Ludwigsburg erbaute Orgel dem Organisten zur Verfügung. 30  Minuten lang erklingen laute und leise  Töne, wuchtige Akkorde und zarte Einzeltöne. Der Kirchenraum ist erfüllt mit Ton. Es brandet Applaus auf und die junge blonde Organistin winkt lächelnd von der Orgelbühne ins Publikum  –  damit haben die wenigsten gerechnet, wenn man den Blicken Glauben schenken darf. Nur wenige Meter vom Dom entfernt liegt das Alus seta. Man steht lange an in dem holzvertäfelten Gebäude, das rustikal eingerichtet ist.  Ein Teller Salat, frisch gegrilltes Huhn, gebackenes Gemüse, gekochte Kartoffeln und ein Becher Heidelbeeren mit Vanillesoße – für 7,20 Lats wird man mehr als satt. Ich gehe zum Schwedentor,  dem einzigen erhaltenen Stadttor von 1698.  An der Stadtmauer entlang entdecke ich kleine Souvenirläden mit einheimischen, handgemachten Produkten. Das verspricht zumindest die Außenwerbung, innen sieht das anders aus. Den Schokoladenladen “Laima” gibt es nicht mehr, auch der Musikladen hält nicht das, was der Reiseführer verspricht. Zwischen Großem und Kleinem Gildehaus wird gerade die Straße aufgerissen. In einem Laden von “Latvijas Balzaus” erstehe ich Mitbringsel Nummer eins: “Schwarzen Balsam”. Der Weg zum Hotel Latvia zieht sich nach dem Freiheitsdenkmal endlos in die Länge. Das 42 m hohe Freiheitsdenkmal wird auch “Milda” genannt und greift als personifizierte  Freiheit nach den drei Sternen –  Sinnbilder der historischen Provinzen Lettgallen, Livland und Kurland. Die Christi-Geburt-Kirche, die auf meinem Weg liegt, dürfen Frauen nur im  Rock und mit Kopftuch betreten. Im Radisson angekommen erfahre ich, dass die Bar erst um 16 Uhr öffnet. Zum Glück liegt gegenüber des Haupteingangs ein kleiner Park,  in den ich mich auf einer der zahlreichen Bänke im Schatten setze.  Den ersten Teil des heutigen Tagebuchs kann man in einer Stunde hervorragend zusammenschreiben. Kurz nach 16.00 Uhr fahre ich im  gläsernen Aufzug in den 27. Stock.  Ein kleines Panoramafenster bietet einen ersten tollen Blick über die Stadt.  Eine Etage tiefer hat die Skyline-Bar geöffnet.  IMG_6704 Bei einem  alkoholfreien Cocktail  mit Minze und Limetten genieße ich den Blick über die Stadt. Auf dem Rückweg schlendere ich am Pilsetas Kanals entlang bis zu den “Drei Brüder”. Diese Häuser sind die ältesten Steinhäuser in der Stadt.  Haus Nummer 17 in der Maza Pils iela stammt aus dem 15. Jahrhundert, Haus Nummer 19 aus dem 17. Jahrhundert und Nummer 21 aus dem 18. Jahrhundert. Im mittleren Haus ist das Architekturmuseum untergebracht. Direkt daneben entdecke ich einen kleinen Laden mit lettischen Kunstwerken  – der leider montags geschlossen hat. Also morgen nochmal hin. Dafür entdecke ich einen kleinen Laden mit lettischen Leinentüchern und –tischdecken. Ich schlendere durch die Stadt bis ich das Schloss erreiche, in dem  heute der Präsident des Landes residiert. Es beginnt zu regnen, der Spühregen wird rasch stärker.  Ich suche Zuflucht unter einem Baum.  Der Regen hört auf und ich gehe am Ufer der Daugava Richtung Hostel.  Da öffnet der Himmel erneut seine Schleusen und binnen Sekunden bin ich nass. Die Hose klebt am Körper. Ich überquere auf einem Zebrastreifen die 6-spurige Straße und rette mich in einen Supermarkt.  Schnell  ein paar Getränke eingekauft und flugs ist der Regen vorbei. Zurück am Hostel ziehe ich mich erstmal um und tippe meinen Tagesbericht weiter. Zwei dienstliche E-Mails wollen beantwortet werden – wie gut,  dass es hier kostenloses WLAN gibt. Ich entschließe mich, noch einen Happen Essen zu gehen und schlüpfe wieder in die halbnasse Jeans. In der Stadt herrscht reges Treiben.  Auf dem Platz vor dem Dom nehme ich Platz und bestelle gefülltes Hühnchen und Kartoffeln. Eine Jazz-Combo spielt und verbreitet gute Laune. Das Brot wird serviert, auf einer zweiten Bühne tritt eine andere Combo auf. Die Stimmung ist super.  Es ist angenehm warm und ein sanfter Wind weht.  Die Gespräche sind gedämpft  –  sowohl bei Geschäftsleuten  als auch bei Familien und jungen Touristen. Das geht sogar soweit,  dass die drei Niederländer vom Nachbartisch entrüstet sind,  als ein Fahrradtaxi mit lauten Bassgebrumm an uns vorbeifährt. Ich genieße die Stimmung,  mache mich dann wieder auf den Weg Richtung Hostel. Ich komme nicht weit. Auf dem  nächsten Platz steht ein großes Festzelt,  bunt geschmückt.  Davor rustikale Tische unter bunten Sonnenschirmen. Eine lettische (?) Band spiel Folklore – und alle gehen mit.  Die Stimmung ist super,  plötzlich beginnen zwei junge Frauen zu tanzen. Immer  mehr Menschen – junge wie alte  –  steigen mit ein. Ich muss dringend aufs Klo und gehe zurück zum  Hostel. Dort genehmige ich mir erst einmal ein Smirnoff-Ice.  Da hier nur Jungs herumhocken, die ihre Finger nicht von der Tastatur und ihre Augen nicht vom Bildschirm  lösen können,  werde ich mich wohl  noch einmal auf Tour begeben… Kaum  vor der Tür angekommen, zerschlägt sich die Idee: Es regnet mal wieder in Strömen.  Also zurück ins Hostel,  “Der Junge,  der  Träume schenkte” geschnappt und bis zur Nachtruhe gelesen.

Update: Beim Zähneputzen treffe ich auf eine junge Frau aus Cambridge, die in Hongkong zur Welt gekommen ist. Wir unterhalten uns lange über offene Menschen und zugeknöpfte, Gastfreundschaft und die Möglichkeiten, die einem in Europa und Welt offen stehen. Sie macht sich fertig für den Stadtbummel, obwohl sie eigentlich hundedmüde ist.

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