Dienstag, 10. Oktober 2023

Gegen vier Uhr werde ich wach, schaue kurz aufs Handy, texte mit Sebi und Anne drehe mich dann nochmal um. Als ich gegen sieben Uhr die Augen öffne, klappt das beim linken nicht so gut. Der Blick in den Spiegel offenbart eine rote Sklera (Augenweiß), das Auge juckt nicht, sieht aber auch nicht gut aus. Irgendwie kommt mir das bekannt vor… Ich dränge den Gedanken zurück und mache mich fertig. Frühstück ist nicht im Preis enthalten, dann gibt’s halt die 1,5 Muffins, die noch im Rucksack lagen, reicht vollkommen.

Exchange District

Nur wenige Straßen weiter erstreckt sich das Exchange District, Straßenzüge mit den ältesten Häusern der Stadt, die zwischen 1880 und 1920 erbaut wurden. Auf die Backsteinfassaden sind vor Jahrzehnten Werbebotschaften und Bilder gemalt worden. Diese Gegend trägt den Spitznamen „Chicago des Nordens“ und verfügt über mehr als 150 historische Gebäude auf knapp 20 Quadratmetern (das verrät die Homepage der Stadt). Das einstige Bankenviertel hat sich zum kulturellen Zentrum von Winnipeg entwickelt – Street-Art, Boutiquen, gläserne Restaurantküchen. So früh am Morgen aber noch herrlich unbelebt. Ich schlendere weiter Richtung Red River, wende mich nach Norden.

River flows

Am Fluss entlang, der träge dahinfließt, wärmen die Strahlen der Sonne, der Wind sorgt für reichlich Kälte. Am Ufer zahlreiche Menschen ohne Obdach, die das „nicht zelten“-Schild insofern nicht missachten, als dass sie lediglich große Planen zwischen die Bäume gespannt haben. Überall Spuren historisch bedeutsamer Ereignisse, die zum Nachlesen und Nachdenken anregen. Vorwitzige Eichhörnchen springen von Baum zu Baum oder holen sich aus den offenen Mülleimern etwas zu Knabbern. Ich drehe um und kann durch den Grüngürtel am Wasser entlang Richtung The Forks gehen. Am Horizont ragt das Museum of Human Rights empor, dem ich vor der Weiterreise nach Thunder Bay einen Besuch abstatten will.

The Forks

Dachte ich letzte Woche noch, The Forks sei nur eine Markthalle, so werde ich nun eines Besseren belehrt. Der Zusammenschluss von Red River und Assiniboine River hat für die First Nations in ganz Nordamerika eine enorme Bedeutung, die in den meisten (deutschen) Reiseführern nicht zu finden ist. Schon die First Nations haben hier gesiedelt, später kamen Pelzhändler mit Kanus den Fluss hinab, dann sorgte die Eisenbahn für eine Erschließung der Prärie. Fun fact: Das einzige Eisenbahngebäude aus der Zeit, das noch in Betrieb ist, ist die Union Station – es wurde erbaut von Warren und Wetmore, denselben Architekten, die auch die Grand Central Station in New York City entworfen haben. Falls noch mehr Infos zu The Folks benötigt werden: Hier geht’s zur Historie. Am Ufer gibt ein riesiges Amphitheater, auf den Steinen am Rand sind für First Nations verschiedener Kulturen besondere Elemente abgebildet, wie Sternzeichen oder Sonnenuhren. Ich brauche mehr Zeit für diese Stadt!

Busfahrt und ein Auto

Gegen elf Uhr bin ich zurück am Hotel, packe alles ein, checke aus. An der Bushaltestelle frage ich einen jungen Mann, ob ich hier richtig bin, er sagt, ja, warte einfach auf die 15. Die kommt, ich will mit Karte zahlen – geht nicht. Bar? Nur mit Coins. Die Fahrt kostet 3,65$, ich habe aber nur um die 2,50$, den 10$-Schein will die Dame auch nicht, lässt mich dennoch mitfahren. Ich steige zu früh aus, laufe über grüne Wiesen und dreispurige Straßen Richtung Ankunftshalle. Die Mietwagenfirma ist rasch gefunden, es gibt einen Toyota Corolla. Ich checke alles, frage den Herrn von der Rückgabe, was das Gefährt denn tankt und mache mich mit dem Auto vertraut. So aufrecht, wie ich sitze, stoße ich mir den Kopf an der Decke 🤷🏽🙈, aber halbliegend sehe ich sonst nichts. Google-Maps habe ich zum Glück vorher runtergeladen, denn das Navi am Auto ist nicht aktiviert.

Cruisen bis Winnipeg Beach

Ich fahre langsam aus der Stadt raus, muss mich erst einmal an diese riesigen Autos und LKW gewöhnen. Nach wenigen Kilometern halt ich beim goldenen M, esse eine Kleinigkeit und nutze die Toilette. Weiter geht’s auf der 9 Richtung Gimbli. In Selkirk kaufe ich im Walmart großzügig ein, schlendere durch Staples. Die Straßen werden leerer, ich kapiere den Tempomat und finde einen passenden Radiosender. Gegen 15 Uhr mache ich eine Pause in Winnipeg Beach. Der Wind pfeift, die Sonne lacht vom blauen Himmel. Nach wenigen Metern Fußweg verstehe ich, warum auf der Karte kleine Straßen eingezeichnet sind: es ist ein Campingplatz! Jetzt natürlich schon außerhalb der Saison, alle Toiletten sind geschlossen, Kanadagänse beanspruchen den Strand für sich. Eine Runde schaukeln im Park 🥰

Gimli und Einsatzkommando

20 Minuten später erreiche ich Gimli. Das Hotel am Hafen ist rasch gefunden, ich checke ein, schalte Kühlschrank und Klimaanlage aus und erkunde die Gegend. Das von Isländern gegründete Städtchen zieht mich sofort in seinen Bann. An der Hafenmauer kunstvolle Gemälde, z.T. bereits in den 70ern gemalt, in den letzten Jahren wieder aufgefrischt. Klein aber fein hat man extra einen Wikinger-Park gestaltet, der von einer übergroßen Wikinger-Statue überragt wird. Sebastian, der Bogenschütze, der die Kegelbahn gemietet hat, ruft an, aber ich gehe nicht dran. Um diese Zeit? Merkwürdig. Am Auto hole ich nur die Sachen, die ich für eine Nacht brauche, bringe alles aufs Zimmer. Ich frage Sebastian per WhatsApp, was los ist. Sein Bericht: „Hier haben gerade 6 Polizisten deine Kegelbahn gestürmt, weil ich hier am schießen bin 🤣Der Typ von der Fahrschule hat die gerufen. Echt Klasse 🤣Richtig Action hier gewesen. Deswegen habe ich dich angerufen. Die sind von oben die Holztreppe runter gekommen. Alles heile so viel ich weiß. Jetzt weiß der Fahrlehrer auch, dass ich hier unten bin 🤣Ich hab meine monatliche Überweisung gezeigt. Und da ich ein Schlüssel habe, waren die zwei Sachen genug für die, da dein Name an der Tür steht, wo wir noch geklingelt haben. Aber so richtig mit „Hände hoch“. Ich durfte nicht in die Tasche packen und so. Und ich stehe da mit einem Bogen in der Hand 🤣🤣🤣 Aber 6 Polizisten… war schon heftig. 🤣Sind hier überall rum gegangen, ob sich hier noch einer versteckt usw. So richtiges Einsatzkommando 🤣“ Zum Glück kann er drüber lachen. Auf den Schreck gibt’s für mich Fisch&Chips im Restaurant am Wasser, dazu noch einen Nachtisch. Gegen 21 Uhr gehe ich schlafen, das Auge ist immer noch leicht gerötet.