Samstag, 25. August 2018

Ich lese weiter in Chris Carters „Blutrausch“, dann mache ich mich fertig. Zum Frühstück gibt’s zwei kleine Scheiben Brot, nur nichts überstürzen. Um 9.00 Uhr starten wir Richtung Sagarejo, das östlich von Tiflis mitten im Weinanbaugebiet Kachetien liegt. Wir verabschieden uns von den grünen Hügeln des Kaukasus-Gebirges, mit tiefen Schluchten und kristallklaren Gebirgsbächen. In der Ebene angekommen wir der Fluss breiter, vereinzelt tauchen Ortschaften auf. Man verdient rund 600-700 Lari pro Monat, also umgerechnet 200 €, die Rente beläuft sich auf 180 Lari. Rund 300 Lari muss man für die Miete ausgeben. Auf dem Land sorgt die Regierung mit kostenlosem Strom und Wasser dafür, dass die Menschen halbwegs überleben können. In Sagarejo finden wir nach langem Suchen endlich eine Tankstelle, die Wasser hat und wir somit aufs Klo gehen können.
Bummel durch Sighnaghi
Mein Magen ist noch nicht ganz auf der Höhe, aber an sich geht es. Gemeinsam mit Salome bummeln wir durch Sighnaghi, das in Terrassen an den Hängen eines Berges liegt. Die zwei- und dreistöckigen Häuser entlang der engen und verwinkelten Straßen stammen zumeist aus der Mitte der 19. Jahrhunderts. Da sie im klassischen italienischen Stil erbaut wurden, erinnern sie an toskanische Dörfer. Der Hang, auf dem die Stadt liegt, ist von einer ein Dreieck bildenden Mauer mit 28 Türmen umgeben, die fast alle noch erhalten sind. Ich schlendere durch die Gassen und erstehe ein Mitbringsel für Hedwig in der Hoffnung, dass ihr das auch noch passt. Zum Mittag gibt es ein Kartoffelbrot, viel mehr passt einfach noch nicht rein.
Georgischer Wein
Salome erzählt uns, dass die Weinherstellung in Georgien zum immateriellen Weltkulturerbe der UNESCO zählt. Der Weinanbau blickt hier auf eine rund 8000 Jahre Tradition zurück, linguistisch stammt das Wort „Wein“ aus dem Georgischen und wurde auch in anderen Sprachen übernommen. Die Trauben werden nach der Lese gepresst und der Saft zusammen mit der Maische in Tonkrüge gegeben und fünf bis sechs Monate täglich mehrmals umgerührt. Diese Tonkrüge – die weltweit exportiert werden – sind in der Erde vergraben, wo genau die richtige Temperatur herrscht. Nicht jeder Boden eignet sich dafür, es muss trocken sein, erklärt uns Salome.
Wein und ich im Boden
Wir erreichen ein kleines Dorf, in dem wir in einem 300 Jahre alten Weinkeller zu Gast sein dürfen. Der Besitzer hat nur noch Gold im Mund, sein Enkel bringt Bort und hilft tatkräftig mit. Der größte Tonkrug in der Erde fasst hier 2.000 Liter. Nachdem der Wein entnommen wurde, werden die Krüge von Hand gesäubert, danach mit einem Wischer aus Kirschbaumrinde gereinigt – sie hat antiseptische Wirkung. Die Maische wird gekocht und aus ihr der Weinbrand destilliert. Zur Geburt eines Kindes wird oftmals Wein eingelagert und erst zur Hochzeit verschenkt. Während Weißwein fast orange ist, wird der Rotwein auch Schwarzwein genannt, da man kaum hindurchblicken kann. Der Enkel schöpft Wein aus den Tonkrügen im Boden und dann geht es auch schon wieder los mit dem Fremdschämen: Die Platten, mit denen die Tonkrüge in der Erde bedeckt sind, werden von Füßen betrampelt, statt einem Glas Wein wird immer wieder nachgeordert („Gibt’s ja umsonst!“), Schnaps darf es auch noch sein. Um die Schlange an der Toilette zu umgehen, versucht man sich an der Tür zum privaten Badezimmer des Gastgebers, mühsam von der Hausfrau aufgefädelte und in der Sonne zum Trocknen aufgehängte Haselnüsse werden ungefragt abgenommen und verspeist. Ich schäme mich in Grund und Boden und verlasse beinahe fluchtartig den Hof.
Telavi bei Nacht
Auf der rund 45 Minuten dauernden Fahrt nach Telavi bin ich immer noch fassungslos über das Verhalten einiger Mitreisender. Am liebsten würde ich mir vorne das Mikro schnappen und ein paar Worte loswerden, aber eine Nacht drüber schlafen wäre vermutlich besser. Wir erreichen gegen 18 Uhr die Privatunterkunft in Telavi. Es gibt nur Treppen und natürlich wird genörgelt, dass sie keinen Mann haben, der die Koffer der Gäste hochträgt. Andreas, Margret und ich packen mit an – was nehmen die Leute eigentlich immer alles mit auf Reisen? Die Doppelzimmer sind noch eine Etage höher – jetzt bin ich mal die Erste und sichere uns ein Zimmer mit traumhaftem Blick auf Telavi.
Zum Abendessen werden gefüllte Paprika serviert, zahlreiche Salate, Hähnchenfilets, Kartoffel, Obst – wer soll das alles essen? Ich bleibe beim Brot, da der Magen gerade Ruhe gibt. Auf dem Zimmer fange ich an zu Bloggen, doch wir haben immer wieder Stromausfall, so dass ich das zunächst unterbreche und am frühen Morgen weiterführe. Es ist alles sehr hellhörig, so dass ich nicht um Ohropax herumkomme. Ich lese das Buch noch aus und mache die Döppen dicht.