Montag, 20. August 2018

Ich werde um 6.44 Uhr wach – eine Minute vor dem Weckerklingeln. Duschen und fertig machen, ab 7.30 Uhr gibt es Frühstück. Das ist heute üppiger als gestern. Um acht Uhr bin ich im Supermarkt, um ein bisschen einzukaufen,  eine halbe stunde später fährt der Bus los Richtung Süden. Nahezu alle Straßen in Jerewan sind Alleen – sonst würde man es hier im Sommer bei Temperaturen über 40 Grad gar nicht mehr aushalten. Noch ist alles ruhig, das Leben beginnt erst um 9 Uhr. Die Ampeln zeigen immer an, wie lange die Grün- oder Rotphase dauert und ich frage mich, wo das noch war?! Neuseeland? Kanada?

Ab in den Süden

Schon nach wenigen Kilometern können wir den Berg Ararat sehen. Seine Kuppe glänzt voll Neuschnee, zahlreihe Wolken verhindern eine völlig freie Sicht. Die Straßen sind gesäumt von Häusern, die aus Tuffstein errichtet wurden, im unteren Bereich jedoch oft aus dem beständigeren Basalt. Im Süden der Stadt boomte einst die Industrie: Chemie- und Elektronikfabriken prägten das Stadtbild, der Wind trieb die Abgase weiter in den Süden. Zahlreiche Ruinen von Fabrikgebäuden zeugen von der missglückten Privatisierung nach der Sowjetzeit. Alles wurde ausgeschlachtet und verkauft, die Gebäude lässt man verfallen. Trostlosigkeit, wohin das Auge blickt. Die Kargheit der Landschaft rund um Jerewan wechselt ins satte Grün, als wir ins Ararattal gelangen. In diesem Schwemmland ist der Anbau von Obst und Gemüse möglich, die Ernte mühsam.

Kloster Chor Virap

Als wir von der Hauptstraße nach rechts abbiegen, befinden wir uns im Grenzgebiet. Gasleitungen verlaufen hier – wie nahezu überall – auch oberirdisch, immer mit einem Knick nach oben für Einfahrten oder Straßen. Man hat keine Lust, beim Erdbeben alle auszugraben und neu zu legen.
Bis vor wenigen Jahren durfte hier niemand reinfahren, da die türkische Grenze nur wenige Meter entfernt ist. Auch heute ist es Bauern nur zu bestimmten Zeiten gestattet, zu ihren Feldern im Grenzgebiet zu gelangen. Die Grenztürme auf Seiten der Türkei zeugen vom andauernden Konflikt zwischen Armeniern und Türken. Der Ararat darf seit dem Kurdenkonflikt von Armeniern nicht mehr bestiegen werden. Die Armenier, so erzählt Tiran, sind stets ein gebildetes Volk gewesen. Dies wurde ihnen Anfang des 20. Jahrhundert zum Verhängnis. Die Männer wurden gefoltert und umgebracht, Frauen oftmals als Sexsklaven gehandelt oder ebenfalls umgebracht. Die Türkei leugnet diesen Völkermord bis heute.
Am Fuße des Hügels, auf dem Chor Virap thront, verkaufen Männer weiße Tauben, die man in Erinnerung an Noah steigen lassen kann. Der Legende nach hat hier der Heilige Grigor 15 Jahre lang im unterirdischen Gefängnis gesessen. Eine schmale Leiter führt hinab – die lasse ich aber wohlweislich aus und steige stattdessen auf den Hügel, von dem aus man den Ararat, das Kloster und den Grenzzaun erkennen kann. Auch die Grenze zum Iran ist nur wenige Kilometer entfernt. Grenzgänger sind hier nur die Störche, die über dem Kloster dahingleiten und dann weiterziehen.

Kloster und Sonnentempel Garni

Weiter geht es zum Sonnentempel Garni. Ein Straßenschild weist auf mögliche Erdrutsche hin – und da bleiben wir auch schon stehen, weil Geröllmassen über die Straße donnern. Oops. Ein Bagger ist schnell zu Stelle und räumt alles von der Fahrbahn. Kurz drauf erreichen wir Garni. Ein Busparkplatz ist nicht in Sicht, wir steigen an der Straße aus. Hier geht alles drunter und drüber, ein System, wer wann wie fahren darf, kann ich nicht erkennen. Es gibt viele Rechtslenker – gebrauchte Autos aus Japan sind einfach besser erhalten als die aus Europa. Die Regierung will Rechtslenker verbieten, aber noch gelingt es nicht.
Nach wenigen Metern erreichen wir den Eingang zur Tempelanlage. Zahlreiche Marktfrauen bieten ihre Waren an. Tiran bittet uns jedoch, erst die Toiletten aufzusuchen und den Tempel zu erkunden. Eine Reinigungskraft wischt ununterbrochen den Boden der Toilette. Ohne Rücksicht auf Verluste wringt sie den Wischmop draußen aus – manchmal auch über den Füßen der dort Wartenden. Auf dem Weg zurück reiße ich mir den Zehnnagel an den Treppenstufen auf. Sieht ziemlich fies aus, blutet aber zum Glück nicht.
Der Tempel wird völlig fehl am Platz, hier im Hochgebirge von Armenien. Er wurde 66 n.Chr. erbaut, durch Erdbeben zerstört und Mitte der 1960er Jahre wieder originalgetreu rekonstruiert. Die Stufen sind sehr hoch, damit muss man zwingend vor dem Gott zahlreiche Verbeugung machen. Im Innern des Tempels haben rund 30 Personen Platz. Tiran hat einen Freund organisiert, der für uns zwei Lieder auf dem Duduk spielt, einem Oboe-ähnlichen armenischen Blasinstrument. Auch andere Besucher lauschen den warmen Klängen.
Nach einem Abstecher in das römische Badehaus geht es zum Markt vor dem Kloster. Die Frauen lassen einen probieren und die Würste aus Obstmus und Walnüssen schmecken einfach hervorragend. Sie halten sich lange und werden oft im Winter gegessen, wenn die Nahrung knapp wird und man Energie braucht.

Brot im Garten Eden

Die Sonne brennt unbarmherzig, der Bus steht ganz schön weit weg. Doch Einsteigen war gar nicht vorgesehen – es gibt Mittagessen! In einem Hinterhof erstreckt sich ein grüner Garten mit Bananenpflanzen und Obstbäumen, unter denen bunt gedeckte Tische stehen. In einer kleinen Hütte sitzen zwei Frauen im Boden (da sind zwei Löcher eingelassen) und schwenken riesige Brotfladen, ähnlich wie Pizza, durch die Luft. Der Fladen landet auf einem großen Kissen, das auf einem Brett befestigt ist. Damit wird das Brot in einen Kamin in der Erde an dessen Rand geschlagen und so gegart. Klein gebrochen schmeckt es mit salzigem Käse, rotem Basilikum, Petersilie, Lauchzwiebel und Kresse einfach nur köstlich. Doch das ist noch nicht alles – eine der Tafeln ist für uns gedeckt und so nehmen wir Platz. Verschiedene Salate sind wieder die Vorspeise, danach gibt es Huhn und Kartoffeln. Gut gesättigt machen wir uns auf die Weiterfahrt.

Höhlenkloster Geghard

Die Straße wird immer schlechter, die Berge höher und grüner. Das Kloster liegt versteckt, alle seinen Kirchen sind von oben aus dem Berg hinein geschlagen worden – inklusive Verzierungen an den Wänden. Wie ist das möglich gewesen? Kein Wunder, dass das Kloster zum Weltkulturerbe zählt. Im Gavith von 1225 ist schwarz vom Ruß der gelben Kerzen. In der Hauptkirche ist gerade Taufe, ein Mann lässt sich zudem von einem Priester Salz für ein Blutopfer, das die Armenische Kirche noch kennt, segnen. Durch einen anden Durchgang im Fels gelangen wir zur Heiligen Quelle, deren Wasser Augenkrankheiten lindern soll. Der Boden ist uneben, man muss gut aufpassen, wo man hintritt.
Draußen am Hang zahlreiche Bienenstöcke, die „Zimmer“ der Mönche liegen weiter oben im Berg, da geht es heute nicht hin. Statt dessen besichtigen wir noch das obere Gavith , das man durch einen 10 Meter langen Korridor, der in den Fels gehauen ist, gelangt. 1288 wurde es als Gruft errichtet; zahlreiche Grabplatten am Boden zeugen noch davon. Wie in den anderen Räumen auch dringt durch das Oberlicht Tageslicht herein. Durch dieses Loch wurde die Kirche „gebaut“, das ist einfach unvorstellbar. Eine italienische Reisegruppe hat eine Gruppe Sängerinnen gebucht, so dass wir einfach noch ein wenig in der Kirche verweilen. Fünf Frauen erheben ihre Stimmen und sogleich läuft es mir heiß und kalt den Rücken runter, Gänsehaut macht sich breit. Die Töne füllen den ganzen Raum, fließen ineinander, von tiefen Tenortönen bis zum hohen Sopran ist alles dabei. Geklatscht werden darf nicht, vier sakrale Stücke werden dargeboten. Andreas und Margret sind ebenso wie ich sprachlos und völlig beseelt von diesem Erlebnis.

Bohemian Resort

Mit dem Eindruck dieses spontanen aber umso phantastischeren Konzerts geht es weiter zum Sewansee. Er liegt auf rund 2.000 Metern Höhe und ist doppelt so groß wie der Bodensee. Seid 28 Zuflüsse aus den Bergen sorgen für reichlich kaltes Wasser, so dass nur im Juli und August Wassertemperaturen von maximal 20 Grad erreicht werden. Der See liegt im Nebel, mehr als 15 Grad sind es nicht. Wir beziehen unser Ferienhäuschen (unten Wohnzimmer und Bad, oben zwei Schlafzimmer) und dann geht es auch schon wieder los zum Abendessen. Über die Straße treibt ein Viehhirte seine rund 50 Kühe und Schafe, Autos fahren irgendwie ohne Zusammenstoß hindurch. In Sevan strahlen die Plattenbauten hoffnungslose Tristesse aus, Kinder spielen an verrosteten Spielgeräten auf einem Stück Erde, das nur schwer den Namen Spielplatz verdient hat. Mitten im Nirgendwo erreichen wir dann das Restaurant, wo uns  nach der obligatorischen Vorspeise frische Forelle serviert wird. Zum Nachtisch noch eine gefüllte Aprikose und dann darf es auch schon wieder Richtung Hotel gehen. Mit dem Bloggen bin ich erst gegen halb zwölf fertig, aber morgen geht es auch erst um 8.30 Uhr mit dem Frühstück weiter.