Sonntag, 19. August 2018

Um 03.45 Uhr landen wir in Jerewan. Für einige meiner Landsleute ist echt fremdschämen angesagt. Wir stehen noch auf dem Rollfeld, da gehen die ersten Klappen für das Handgepäck auf. Auch auf den Hinweis des Personals hin, dass man bitte sitzen bleiben möge, wird nicht reagiert.

Der frühe Vogel

Kurze Passkontrolle, dann Gepäck abholen und Marco Polo-Guide Tiran (so wird es zumindest ausgesprochen) empfängt uns. Ich befinde mich in einer Gruppe von ü50- bis ü70-Jährigen. Die andere Hälfte der Reisenden, die über Wien geflogen sind, sitzt schon im Bus. Der Typ vor mir ist offenbar mit seiner Oma unterwegs und meint: „Ich glaub, ich bin der Jüngste.“ Volle Zustimmung, ich folge dann mit einem Abstand von rund 10 Jahren, danach kommt lange nichts. Im Hotel geben wir unsere Pässe ab, damit das einchecken schneller geht. Zusammen mit Janette, 79-Jährige Schweizerin beziehe ich das Zimmer, wo wir uns eine kleine Mütze Schlaf gönnen. Nach dem spärlichen Frühstück tauscht Janette beim Supemarkt gegenüber Geld – ich habe aber gar keine Euros dabei. Der Bankautomat spuckt leider kein Geld aus. Wir gehen ein Stück die Straße zu einer anderen Bank und siehe da: Ich besitze armenische Dram! 500 Dram sind etwa 1€, der Liter Super kostet 470 Dram, eine Cola 300. Im Hotel besorge ich uns einen zweiten Zimmerschlüssel und nehme dabei auch gleich unsere Pässe wieder in Empfang.

Kirche der Hl. Hriphsime

Rund 20 km westlichen von Jerewan liegt dieses religiöse Zentrum des armenischen Christentum. Laut einer Legende hat Noah hier, als er seine Arche auf dem Berg Ararat setzte, seine erste Rebe gepflanzt. Zunächst geht es in die Kirche der Hl. Hriphsime, die heute als die typischste und charakteristische aller armenischen Kirchen gilt. In der Kirche findet gerade ein Gottesdienst statt. Die Menschen gehen – stets mit dem Gesicht zum Altar – ständig ein und aus (das scheint hier völlig normal zu sein). Die Gesänge verzaubern und gehen einem durch und durch. Ein Kopftuch wird gern gesehen, ist aber kein Muss. Aufgrund eines „Abkommens“ der katholischen mit der armenischen Kirche können Katholiken die Kommunion und die letzte Ölung auch in der armenischen Kirche empfangen.

Edschmiatsin

2001 wurde das Tor erbaut, durch das man zu eigentlichen „Klosteranlage“ gelangt. Hier befindet sich auch ein großer Freiluftaltar mit einem Platz davor, auf dem bis zu 1.000 Gläubige mitfeiern können. Die Sonne brennt unbarmherzig, während uns Tiran über die Kreuzsteine aufklärt, die es weltweit so nur in Armenien gibt – ein bisschen vergleichbar mit denen in Irland. In der Taufkirche (denn in Klosterkirchen darf nicht getauft werden) finden gerade zwei Taufen statt: Eine Kindertaufe, wo die Eltern aussehen, als befänden sie sich auf ihrer eigenen Hochzeit, und eine Erwachsenentaufe, wo der Täufling ein halbwegs passables T-Shirt trägt. Er beugt sich tief über die riesige Taufschale und wird aus der hohlen Hand des Priesters mit Wasser getauft.

Hauptkirche – Baubeginn 301 n.Ch.

Die Hauptkirche wurde innerhalb von zwei Jahren fertiggestellt, im Laufe der Jahrhunderte folgen weitere Anbauten. Gerade ist sie für Renovierungsarbeiten von außen und innen eingerüstet. Der Gottesdienst dringt durch alle Fenster nach außen. Gelbe Kerzen werden in großen Metallständern angezündet, Priester mit Kapuzen segnen vorbeigehende Gläubige. Die Kapuzen-Priester leben zölibatär und können in der Hierarchie bis zum Katholikos, dem Oberhaupt der armenischen Kirche, aufsteigen. Gemeindepriester hingegen müssen (!) verheiratet sein und am besten auch noch einen Sohn haben. Warum übernimmt die katholische Kirche das nicht? Ich glaube, dadurch würde man dem vermeintlichen Priestermangel deutlich entgegenwirken können (die ganz Konservativen können ja immer noch Karriere im Generalvikariat machen…). Messdiener werden für ihren Dienst geweiht und dürfen dann die Kirche auf- und abschließen – und sie kehren. Die eigentliche Beichte wie bei uns in der katholischen Kirche (face-to-face mit dem Priester) kennt man hier nicht: Sie ist durch verschiedene Gebete in jeden (Sonntags)Gottesdienst eingebaut. Wie praktisch!

Landschaftseindrücke

Auf dem Rückweg fällt der krasse Gegensatz auf: Grüne Weinanbauflächen mit Bergen im Hintergrund werden jäh von Plattenbauten aus der Sowjetzeit gestoppt. Riesenräder schwanken ohne Gondeln ziellos im Wind, eine Bauruine wechselt sich mit armseligen Behelfsbauten und kleinen Einzelhandelshütten ab. Anfang der 90er Jahre gabe es hier keine Elektrizität, kein Wasser, irgendwie kein Leben. Das ist keine dreißig Jahre her und wir reden von den „armen Kindern in Afrika“. Die Wirtschaft boomt hier nicht, obwohl rund 40 Universitäten in Jerewan beheimatet sind. Die Abschlüsse sind nicht vergleichbar mit dem Niveau anderer Hochschulen, es mangelt an gut ausgebildeten Lehrkräften. Unser Reisebus ist schon deutlich in die Jahre gekommen, aber was man im alltäglichen Straßenverkehr sieht, sind überwiegend Autos, von denen man meint, dass sie gleich auseinanderfallen. Aber auch SUVs bestimmen stärker das Straßenbild.

Siegespark

Wir fahren direkt zum Siegespark, wo „Mutter Armenien“, die den Sieg über die deutsche Wehrmacht versinnbildlichen sollen, über der Stadt thront. Ringsum lädt ausrangiertes Kriegsgefährt zum Spielen für die Kinder ein – mit dem Wunsch, dass keine Waffen mehr genutzt werden. Dieser Wunsch ist allgegenwärtig, der Alltag belehrt eines besseren: Die Grenze zur Türkei wird von armenischen und russischen Truppen kontrolliert, die größte amerikanische Botschaft weltweit befindet sich in Jerewan. Seit dem Völkermord Anfang der 20. Jahrhunderts leben keine Armenier mehr in der Türkei, die Waffenruhe ist an vielen Stellen des Landes (besonders im Gebiet am Berg Karabach) brüchig. Mit Blick auf den heiligen Berg Ararat, der auf türkischem Grund liegt und sich heute im Wolkennebel versteckt, wird mir bewusst, wie unglaublich dankbar ich sein darf, in einem Land zu leben, das seit seiner Gründung keine bewaffneten Konflikte mit Nachbarländern mehr geführt hat, wo ein Miteinander möglich ist, auch wenn einige Parteien anderer Meinung sind.

Kunstmarkt

Am Republiksplatz stoppen wir, um eine Stunde lang über den sonntäglichen Kunstmarkt schlendern zu können. Hier werden Ketten und Ringe, Silberschmuck und Bernstein, Ikonen, Holzschnitzereien, Schachbretter und diverse Haushaltshelferlein angeboten. Ein Kauf reizt mich nicht, gemächlich geht es zurück zum Bus. Im Hotel lege ich die Füße hoch, dann mache ich mich frisch. Janette und ich kaufen noch neues Trinkwasser und dann fährt der Bus auch schon ab zum Restaurant.

Abendessen in Jerewan

Das Restaurant ist ein riesiger Bau, wo Hochzeiten parallel mit Kneipenbetrieb und Restaurant durchgeführt werden können. Wir sitzen an einer langen Tafel, es gibt Wasser und „Kompott“, eine Art Fruchtsaft mit Himbeeren, Johannisbeeren oder Aprikosen. Als Vorspeise werden verschiedene Salate und Käsesorten mit drei verschiedenen Brotsorten gereicht. Alleine davon könnte man sich schon satt essen. Es folgt eine deftige Rindfleischbrühe mit Kidneybohnen, bevor Schweinefleisch in Weinblätter und Kohlblättern gerollt serviert werden. Baklava runder das wenig gehaltvolle Essen ab…

Raindrops keep falling

Janette und ich wollen uns auf den Rückweg machent. Matthias und seine Oma Gerti ebenfalls – es regnet. Sie haben keinen Schirm, keine Jacke. Wir fackeln nicht lange: Janette hakt Gerti unter, so dass beide unter ihrem Schirm zurück zum Hotel laufen können, Matthias und ich breiten meine Regenjacke über unseren Köpfen aus. Die Kaskade, eine marmorweiße Stiege, die zum Siegespark führt, strahlt leuchtend in den regnerischen Abendhimmel. Der Regen wird stärker, meine Füße schwimmen in den Crocs, als endlich das Hotel in Sicht kommt. Wir verabschieden uns und ziehen aufs Zimmer. Janette geht umgehend schlafen, während ich noch die Erlebnisse des Tages zu Papier – äh Blog bringe.