Dienstag, 21. August 2018

Es wird hell im Zimmer –  als ich auf die Uhr schaue, zeigt diese 6.30 Uhr an. Ich ringe mit mir, dann ziehe ich einen Pulli über und laufe zum Steg. Ganz schön kalt hier draußen, aber egal. Langsam schiebt sich der rote Feuerball über dem Kloster Sevan aus den Wolken – für diesen Anblick hat sich das Aufstehen gelohnt! Ich husche zurück und kuschele mich noch einmal ins Bett – meine Füße sind ganz schön kalt geworden… Um Punkt acht Uhr gibt es Frühstück, nach dem üppigen Mahl gestern habe ich noch gar keinen richtigen Hunger. Die Koffer werden zum Bus gebracht, Tirans „um neun Uhr fahren wir los“, war jedoch nicht auf den Bus gemünzt!

Bootstour

Am Steg hat ein Boot festgemacht, mit dem wir eine gute halbe Stunde über den Sevansee fahren. Er ist einer der höchstgelegenen Süßwasserseen der Erde, aber recht arm an Lebewesen. Gerade einmal rund 40 verschiedene Arten leben in ihm, die meisten Forellenarten sind schon ausgestorben. Zur Energiegewinnung hat man ihm so viel Wasser entnommen, dass sein Pegel drastisch absank. Dank zahlreicher Maßnahmen ist er nun wieder ein wenig angestiegen und kann seit Jahren auf dem heutigen Niveau gehalten werden. Die Wolken hängen tief in den Tälern der umliegenden Berge. Eine traumhafte Kulisse und keine Menschenseele ist zu sehen oder zu hören. Wir halten am Fuße des Hügels an, auf dem das Kloster aus de 9. Jahrhundert mit Klosterschule und Seminar thront. Zunächst als Insel ist er durch die Wasserknappheit zur Halbinsel geworden.

Sevankloster

250 Stufen führen hinauf zum Kloster. Marktfrauen und Maler bieten hier ihre Waren feil. Die Höhe macht sich bemerkbar, ich muss doch ganz schön japsen. Von oben entlohnt ein wunderbarer Blick für die Strapazen. Die Hauptkirche, eine von drei Kirchen ist recht klein, es befinden sich jedoch zahlreiche Kreuzsteine im alten Gavith, die man aus Angst vor Plünderungen und Zerstörung hier in Sicherheit gebracht hat. Der größte von ihnen, den wohl Meister Trdat im 17. Jahrhundert hergestellt hat, steht in der Kirche. Als einer von nur rund 10 Exemplaren der rund 100.000 Chatsch’khare weltweit zeigt er eine Christus-Darstellung auf dem Kreuz. Darum herum zahlreiche biblische Szenen, die wir gemeinsam recht schnell entschlüsselt und zugeordnet bekommen. Die alten Holztüren der Kirche aus den Jahren 1176 und 1486 lagern gut geschützt in Jerewan im Museum, so dass nur Duplikate zu bestaunen sind. Nach und nach strömen mehr Menschen hinauf zum Kloster, daher machen wir uns auf den Rückweg.

Russische Lebensart

Wir sind eine ganze Weile unterwegs, dank des Tunnels jedoch schneller als früher, als man über den Pass musste. Es empfängt uns Laubmischwald, an den Straßenrändern werden Maiskolben verkauft. Wir kommen ins Dorf Lermontowo, dessen Bewohner Molokaner heißen. Sie gehören einer russischen Minderheit an, einige von ihnen leben sehr streng religiös ohne technische Neuerungen, ähnlich den Amish in Amerika. Der Bus parkt an einer Straße, auf deren angrenzenden Feldern großen Heuhaufen liegen. Zu Fuß geht es bergab ins Dorf – hier ist wirklich die Zeit stehen geblieben. Geteerte Straßen such man hier vergebens, die kleinen Lastwagen, die vereinzelt durch das Dorf rollen, werden notdürftig zusammengehalten.
Eine Familie empfängt uns und serviert diverse Vorspeisen wie mit Kartoffelbrei gefülltes Brot, Aubergine, Salate. Nach einem kräftigen Bortsch wird schwarzer Tee aufgebrüht, den sie in den Bergen ernten. Wir trinken ihn von den bereitgestellten Tellern, dazu gibt es Palatschinken mit Himbeermarmelade. Wir dürfen noch durch den Garten schlendern, wo wir Sonnenblumen und riesige Kohlköpfe bestaunen. Erstere probieren wir direkt von der Blume. Ich darf das Ehepaar fotografieren, sie hat gerade Käse gemacht und nutzt das übriggebliebene Wasser-Milch-Gemisch zum Füttern der Kälbchen.

Bodenschätze

Es geht weiter durch die Berge, den Fluss Debed immer an der Seite. In Alaverdi empfängt uns eine Stadt, dessen Leben von der im Ort ansässigen Kupfermine geprägt ist. Der Schornstein qualmt hoch oben auf dem Berg, im Tal sieht man verfallene Fabrikgebäude und Hochhaus-Plattenbauten. Dass hier noch Menschen leben, erkennt man an der frisch gewaschenen Wäsche, die vor zahlreichen Fenstern flattert, sowie den Satellitenschüsseln, die die Fassaden der Häuser zieren. Weitere Gold- und Kupferminen befinden sich im Süden des Landes. Es wirkt kalt und ungemütlich hier unten im Tal. Wir schlängeln uns den Hügel nach Haghpat hinauf. Wir biegen links ab, lassen den Zeltplatz links liegen und erreichen nach wenigen Metern das Hotel Qefo. Im urigen Hotel gehen von der Lobby direkt drei Zimmer ab – eins davon beziehen Janette und ich. Bei vier Betten könnte jede von uns jede Nacht in einem anderen Bett schlafen.

Fehlender Gockel

Wir haben drei Stunden Pause bis zum Abendessen. Einen großen Spaziergang sparen wir uns, dafür ist lesen, relaxen, Tagebuch schreiben und duschen angesagt. Gemeinsam mit anderen Reisenden sitzen wir in der Lobby, bevor es zum Essen geht. Margret und ich bleiben im Gespräch, da auch sie bei der Kirche arbeitet haben wir nicht nur hinsichtlich Bischof Oster ähnliche Gesprächsthemen. Nach der Vorspeise gibt es Fisch – Matthias bestellt sich Hähnchen. Als wir beim Nachtisch angekommen sind, ist der Gockel immer noch nicht da. Nach dem Maulbeerenschnaps gibt er es auf und wird wohl ohne Abendessen ins Bett verschwinden. Ich versuche mehrfach, ins Internet zu kommen, doch die Verbindung ist sehr schlecht. Also gebe ich es für heute auf und begebe mich ins Bett.