Freitag, 06. Oktober 2023

Auch ohne Wecker bin ich früh wach, vor den Badezimmern hat sich bereits eine kleine Schlange gebildet. Das Frühstück ist bereits fertig: Zwei Würstchen für jeden, dazu Bratkartoffeln und Ei, so viel man mag, außerdem Toastbrot mit Marmelade und Erdnussbutter. Der Mann für alle Fälle sagt, dass es gestern Abend Nordlichter gegeben habe. Ich habe davon leider nichts mitbekommen, hoffe einfach auf heute. Er wird uns um 7.30 Uhr abholen und zur Tundra-Tour bringen, im Dunkeln sollte niemand laufen. Vorher zeigt er Gerd aber noch den Jeep, den man ihm zur Verfügung stellt. Gerd geht in Hausschuhen (!) nach draußen. Nun hat er ein Problem, denn Draußen-Schuhe müssen im Windfang ausgezogen werden. Wir fahren los, der Morgen dämmert.

Tundra-Buggy

Alle Passagiere werden auf der Liste abgehakt, dann auf zwei Mini-Busse verteilt. Einige sehen aus, als wollten sie eine Polarexpedition mitmachen: Gamaschen über den Schuhen und 1.000$-Jacken Canada-Goose, die noch keinen Schnee gesehen haben. Ich bin froh über die Jeans mit Fleeceeinsatz, auch die neue Winterjacke ist eine gute Investition gewesen. Unser Fahrer gibt uns ein paar Infos, dann sagt er: „Das Abenteuer beginnt schon hier, wir haben einen Platten. Ihr müsst alle umsteigen.“ Also raus aus dem Bus und ab in den nächsten – hier läuft die Klimaanlage auf vollen Touren *brrrr*. Über eine halbe Stunde brauchen wir Richtung Osten zur Tundra-Buggy-Sation. Die hohen Gefährte haben einen extra Parkplatz mit Treppenaufgang. 40 Leute passen rein, Jim ist unser Fahrer. Es wird eine Mittagspause geben, während der Stopps können wir das Klo benutzen und auf die Plattform gehen. Die übrige Zeit müssen wir sitzen bleiben, alles andere sei zu gefährlich. Ich setze mich in die vorletzte Reihe neben Janna aus Vancouver. Das ist die Herausforderung allein reisender Frauen: Ständig kommen ihnen allein reisender Männer ü70 einfach zu nah. Durch den Platz neben Janna kann ich das zumindest auf dieser Tour abwenden. Schaukelnd geht es los, zwei Stunden durch die Tundra, unterwegs zur Hudson Bay.

Eisbärsichtung

Auf einer Landzunge hat Jim einen Eisbär entdeckt. Mein 250mm-Objektiv reicht nicht ansatzweise für ein brauchbares Foto. Einige Mitreisende haben richtig lange Teleobjektive – wir fotografieren einfach das Bild auf dem Monitor ihrer Kamera ab 🙈🤷🏽🤣. Es gibt Heißgetränke und einen Keks, danach fahren wir weiter. Außer Wasser und Tundra gibt’s keine weiteren Tiersichtungen, wir fahren zurück zu „unserem“ Eisbären. Jim holt Sandwiches raus und serviert eine vegane, glutenfreie Gemüsesuppe. Leider bewegt sich der Eisbär nicht vom Fleck, richtet sich nur ab und an auf und dreht sich um sich selbst. Natur ist nicht planbar.

Natur pur?!

Ich komme mit Tim und Josephine ins Gespräch. Er kommt ursprünglich aus dem Harz, sie von den Philippinen (was ihr gebrochenes Deutsch erklärt), mittlerweile leben sie in der Schweiz. Für vermeindlich unberührte Natur sind sie bereit, einen hohen Preis zu zahlen. Ihre Reiseerlebnisse erstrecken sich über die ganze Welt, aber immer nur abseits des Mainstreams. Die Zugfahrt hat ihn 2.000€ gekostet, es sollte ja Komfort sein. Sie bleiben vier Tage hier, haben noch mehr Touren inkl. Helikopterflug gebucht (600$ pro Person pro Stunde). Sie hat eine Tasche von der Business-Class von Eurowings dabei, darauf steht: „Weltenbummler. German. A person who never stops traveling and exploring the world. From Windhoek to Marrakesh, from Punta Cana to Porto Santo, the journey is always the destination.“ Zumindest einen dieser Orte habe ich – im Gegensatz zu den beiden – bereits besucht 😊. Jim fährt ins Landesinnere. Mal geht’s durch reichlich Wasser, dann wieder durch erschreckend ausgetrocknete Flussbetten. Ich komme ins Grübeln, ob man diese Touren braucht. Ja, ich mache sie gerade, aber um welchen Preis? Und meinen Nichten irgendwann davon berichten zu können, wie faszinierend die Tundra war, als sie bereits im Sterben lag?

Tiersichtungen

Wir erspähen einige Karibus, einen großen Schwan, Kanadagänse und ein Schneehuhn. Ein bisschen schade finde ich es schon, dass Jim nicht mehr Richtung Hudson Bay fährt. Im Landesinneren haben wir eher weniger Chancen, einen weiteren Eisbären zu sehen. Aber ich habe einen gesehen, wenn auch nur aus der Ferne. Das ist eben Natur! Um fünf Uhr sind wir zurück, ich schlendere noch ein wenig durch die Stadt, bevor ich zur Unterkunft gehe und mir Abendessen mache. Ich komme mit den vier Chinesen ins Gespräch, die morgen mit mir im Zug zurück fahren. Gerd kommt von seiner Tour zurück, als ich gerade blogge und meint: „Was für eine Enttäuschung, nur ein Bär irgendwo in der Ferne!“ Er kann meine Freude darüber nicht nachvollziehen. Der Schwede, mit dem er unterwegs war, verwickelt mich in ein längeres Gespräch. Um 22.25 Uhr ist es soweit: Die Polarlichter tanzen grün über den Himmel 😍 Was für ein Tag!

Tundra Buggy Driver Jim
Eisbär auf Landzunge
Kamera mit ordentlichem Tele
Eisbär 😍
Schneehuhn
Karibus