Montag, 02. Oktober 2023

Der Wecker klingelt um 5.45 Uhr. Uh, ist das früh… Fix fertig machen, zum Glück ist alles gepackt und die Brote schon geschmiert. Kurz vor der Abfahrt fällt mir ein, dass ich noch ein Fleece mitnehmen wollte – bei den milden Temperaturen draußen wäre mir das glatt untergegangen. 7.38 Uhr steht Papa schon vor der Tür, wenig später sind wir am Bahnhof. Er ist noch nicht 100%ig fit, nimmt lieber den Aufzug. Am Bahnhof ist wenig los, da sehe ich Jan direkt, als er auf den Bahnsteig kommt. Zumindest also die ersten zwei Stationen in Begleitung. Ich verabschiede mich von Papa, der mich noch segnet, bevor die Reise beginnt.

Über Hagen und Köln nach Frankfurt

Jan steigt in Fröndenberg aus, ich in Hagen um. Der Zug ist pünktlich, es gibt noch freie Plätze. Wenig später weiß ich auch, warum. Eine Frau schräg vor mir regt sich lautstark auf über ihre dumme Schwester, dieses beschissene Deutschland und die [Zensur] Zugbegleiterinnen. Die machen, als sie weder Fahrkarte noch Papiere vorzeigen will (oder kann) das einzig richtige: Sie rufen die Polizei. Ein Beamter der Bundespolizei ist im Zug, diskutiert mit der Frau, die immer ausfallender wird. Er bleibt freundlich, aber bestimmt. In Wuppertal ist für sie Schluss: Ohne Fahrkarte (die ihre Schwester offenbar online bestellt hat, ihr aber nicht aufs Handy schicken kann) und ohne Ausweisdokumente muss sie aussteigen. Sie wird von zwei Polizist:innen in Empfang genommen. Der Mann der Bundespolizei und zwei Zugbegleiterinnen machen ihre Aussagen. In der DB App steht nun: Polizeieinsatz. Der Puffer in Köln schwindet. Ich halte nach Alternativen Ausschau. Kurz vor Köln fragt mich ein junger Mann, ob man den Zug nach Basel noch bekommt. Ich: „Wenn Sie schnell sind – vielleicht!“ Er kennt sich überhaupt nicht aus, ich sage ihm, wie er rennen muss: „Treppe runter, nach links und sofort wieder Treppe rauf und links in den Zug auf Gleis 6.“ Er ist nicht der einzige, der seine Beine in die Hand nimmt – auch ich schaffe den von der Zugdurchsage als nicht mehr erreichbar Anschluss in zweieinhalb Minuten. Im Familienabteil sind bis Frankfurt noch Plätze frei. Eine halbe Stunde später hat sich mein Puls wieder normalisiert und der Fingerabdrucksensor des Handys erkennt mich auch wieder. Mir fällt ein, dass ich mein Reeloq (Handysicherung fürs Wandern) vergessen habe – nun ja, das ist verschmerzbar.

Flughafen Frankfurt

Der Zug kommt pünktlich an, der Weg zur Kofferabgabe in Terminal 1 scheint endlos. Ein netter Herr weist mich darauf hin, dass der Rucksack Sperrgepäck sei wegen der ganzen Bänder. Ich sage: „Moment.“ Und ziehe die Abdeckung über die Träger. „Okay, jetzt können Sie hier rein.“ Am Drucker bekommt man mit der Boardkarte seinen Kofferanhänger, dann geht’s zur Abgabe. Vor mir ein Mann mit riesigem Koffer, er will nach Mexico. Die Dame sagt: „Wird schwierig mit dem Koffer, aber versuchen Sie es.“ 20,7 kg, der Automat schließt sich, der Mann kann zum Abflug. Die Dame sagt zu mir: „Wird schwierig mit den Koffer, aber versuchen Sie es.“ Ich lege den Koffer rein, 14,1 kg, das Gerät schluckt ihn ohne Probleme. Auf einem Bildschirm wird B45 als Gate angezeigt, ich mache einen Abstecher zum Klo und stelle mich in die Economy-Schlange der Sicherheitskontrolle. Viaguide Beltrac sortiert alle ordentlich. Der Mensch am Kontrollband hat gute Laune („Hey, in drei Minuten habe ich Feierabend!“) und reißt einen Spruch nach dem nächsten: „Blutdruckmessgerät? Parfum? Dritthandy?“ Und 90% der Menschen müssen noch ihre Taschen leeren und/oder die Jacke ausziehen. Erst komme ich problemlos durch, dann müssen die Schuhe doch aus. Die Frau kontrolliert dann meine Füße und mein Gekicher lässt die Polizeibeamten, die in der Nähe stehen, schmunzeln. Schuhe wieder an, man hat aber noch was im Gepäck gefunden. Ah, die klappbare Tastatur. Der Typ ist völlig fasziniert: „Sowas habe ich ja noch nie gesehen!“

Passkontrolle

Ich gehe Richtung Gate B45. Der Pass kann automatisch gelesen werden, ein Schritt nach links, einer nach rechts und das war’s. Dem Grenzbeamten bleibt nur noch, mir einen guten Flug zu wünschen. Bis zum Gate sind es 5 Minuten, es ist 11 Uhr, also habe ich noch 2,5 Stunden Zeit. Ich suche einen Sessel mit Ladebuchse für das Handy und vertreibe mir die Zeit mit „Das Kind in mir will achtsam morden“. Ich suche drei Waschräume auf, um meine Flasche mit Wasser aufzufüllen, aber überall kommt nur warmes Wasser aus der Leitung. Also recherchiere ich den günstigsten Wasserpreis am Flughafen. Evian Premium ist eisgekühlt und kostet daher 5,50€. Für 500ml. Okay. Vielleicht gönne ich mir dazu noch eine Packung Toffifee für 9€. Im Duty free gibt’s Christinen-Wasser für 1,50€ den halben Liter. Ich nehme zwei. An der Kasse dauert es endlos, weil einer seinen Pass nicht findet, der andere sein Ticket nicht und wieder ein anderer keine Kreditkarte hat und mit Dollars in bar zahlt. Ich habe alles parat – doch der Kassierer will nur Geld sehen. Am Gate 45 kommt mehrmals die Durchsage, dass der Flug überbucht sei. Für 600€ inkl. Hotelübernachtung kann man auch morgen fliegen. Ich verzichte dankend. Die Pässe werden vorab nochmals überprüft und mit einem Aufkleber versehen. Angeblich soll es dann gleich schneller gehen.

Boarding

Natürlich begreift keiner, was es mit den Boarding-Zonen auf sich hat, obwohl überall dazu Hinweisschilder hängen. Gangplätze sind Nummer 6, mit 26G habe ich also Zeit. Vor mir im Gang staut es sich, weil zwei Leute mit der Crew diskutieren, dass man lieber woanders sitzen möchte. Irgendwann geht’s weiter und sich stelle fest, dass ich größtmögliche Beinfreiheit habe, weil ich in der Reihe direkt hinter den Toiletten sitze. Neben mir Maria und Franz, die mit ihren beiden Kindern die Elternzeit nutzen, um erst in Montreal und dann in Mexiko Franz‘ Familie zu besuchen. Der Kapitän entschuldigt sind für die Verspätung, statt 14.20 Uhr geht es erst 14.55 Uhr los. Eine Boeing 787 gibt’s nicht, dafür einen Airbus A330 und der hat weniger Sitzplätze, daher passt alles hinten und vorne nicht. Leon Ike spricht mit wunderbarem Akzent und ich hoffe, dass er noch einige Male zum Mikrophon greifen wird. Die Flugbegleiterinnen versorgen die Kids mit Spielzeug in Form eines Stoff-Flugzeugs und einem Buch, wo man die Crew mit verschiedenen Kleidungsstücken und Schuhen bekleben kann.

Knapp acht Stunden Flug

Die Flugdauer wird mit 7 Stunden 30 berechnet, localtime ist kurz vor neun a.m. Es gibt Getränke mit Salzgebäck, kurz drauf starte ich mit „Der Rausch“. Der kleine Fernseher hat ständig Wackelkontakt, die Kopfhörer auch. Da wird das Essen serviert: Rindergulasch mit Kartoffelpüree und Gemüse, dazu ein sehr trockenes Brötchen mit Butter und ein Mini-Stückchen Kuchen. Franz und Maria essen im Wechsel. Irgendwann mache ich doch die Augen zu. Wie lange ich schlafe, kann ich nicht beziffern, aber das Geschrei der Kinder weckt mich auf jeden Fall. Noch zwei Stunden Flugzeit. Die Dreijährige ist völlig übermüdet und hört nur beim Schluckauf auf zu weinen und zu schreien. Ich falte flugs aus meinem alten Bahnticket einen fliegenden Kranich. Damit habe ich das Überraschungsmoment auf meiner Seite und schlagartig kehrt Ruhe ein. Keine zehn Minuten später ist sie auf dem Arm ihres Vaters eingeschlafen. Kurz darauf steht ihr Bruder auf – doch die Bommeln an meinem Nackenkissen faszinieren ihn so sehr, dass auch er das Gebrüll einstellt. Tante Anna in Bestform. Maria braucht etwas aus den Fächern oberhalb, sie hat Mühe, die Gitarre wieder hineinzubekommen. Ich stehe auf uns helfe ihr. Wir kommen ins Gespräch: Die Gitarre gehört ihnen gar nicht, sondern dem Herrn drei Reihen dahinter. Helfen? Fehlanzeige. Die Kinder schlafen selig, für die Erwachsenen gibt’s Pizzataschen. Kommentar vom Flugbegleiter: „Das reicht im Leben nicht für alle!“

Lebenslinien

Franz erzählt, dass er in Mexico auf einer deutschen Schule war und mit 19, also vor 15 Jahren, zum Studium nach Würzburg gegangen ist. Mittlerweile ist er als Neurochirurg in einer Klinik bei Nürnberg tätig. Auf dem Plan steht eine Fortbildung zur Notfallmedizin. Die dafür in Deutschland in Frage kommenden Schulungsorte sind auf Sylt – und in Neheim. Maria ist Erzieherin in einem Heim für Menschen mit Beeinträchtigungen, jetzt aber erst einmal in Elternzeit. Kennen gelernt haben sich beide in Meschede-Enste: Marias damaliger Freund aus Studienzeiten wohnte dort, und Franz hatte ebenfalls einen Freund aus Enste. Eine Ina Wullenweber kenne ich nicht, auch Familie Kaiser aus Meschede kann ich natürlich nicht einsortieren. Vielleicht kann Anne da weiterhelfen?! 😉 Maria war (natürlich) auch schon Mal im Wildwald und so schließen sich irgendwie die Kreise. Wir landen um 16.25 Uhr und damit 20 Minuten später als geplant. Ich helfe beim Aufräumen und Kinder beruhigen, Franz und Maria verabschieden sich, ich wünsche ihnen eine gute Zeit.

Transit in Montreal

Das Auschecken geht relativ zügig, überall stehe Menschen und sortieren einen in die richtigen Schlangen: Transit in die USA, Transit in Kanada, Transit weltweit und gar kein Transit. Immer wieder wird der Boarding-Pass verlangt, am Automaten muss ich meinen Pass einscannen und meine Zollerklärung überprüfen, dann abschicken. Es wird ein Foto gemacht und mit einem Ausdruck geht’s weiter. Ich begrüße den Zollbeamten mit „Ola“ 🙈 Macht der Gewohnheit der letzten Urlaube. Er grinst, fragt mich nach dem Grund meines Aufenthaltes, lässt mich gehen. Wenig später sammelt eine Dame den Ausdruck wieder ein, 20m weiter wird wieder die Bordkarte gescannt, der Mann fragt, wo ich herkomme und wo ich hin will, wünscht auf Deutsch „Schönen Urlaub, Gate 48!“, und weiter geht’s. Die Anzeigetafeln sind in alphabetischer Reihenfolge nach Zielort sortiert, überall sind Wasserspender in die Wand eingelassen, die gut frequentiert werden. Neben einer Toilette gibt es eine für Hunde. Mit Hydrant, Hecke, Kunstrasen und Kotbeutelspender. Ich kaufe einen Bagel und beobachte das Treiben am Flughafen. Auf einmal setzt ein ohrenbetäubendes Piepen ein, keiner scheint zu wissen, wo es herkommt. Nach fünf Minuten endlich Stille, die Menge applaudiert. Da es erst um 20.30 Uhr weitergeht (also deutsche Zeit 2.30 Uhr) setze ich den bisher geschrieben Teil schon einmal online, Ergänzungen folgen.

Weiterreise nach Winnipeg

Der Flug ist überbucht, es werden erneut Freiwillige gesucht, die später fliegen möchten. Das Boarding verschiebt sich etwas nach hinten, geht dann aber zügig voran. 13A ist am Fenster und bietet auch ziemlich viel Beinfreiheit. Kaum in der Luft sind meine Augen schon zugefallen und ich werde erst wieder wach, als der Kapitän sagt, dass wir gleich landen. Am Flughafen sind die Gepäckbänder in der Empfangshalle, so dass erste herzliche Umarmungen zu sehen sind. Mein Rucksack ist nach zehn Minuten da, ich packe ein bisschen um und will zu Fuß zum Hotel. Eine Dame in Warnweste ruft mir zu, was ich denn vorhabe. Ich breche das Unterfangen ab und nehme mir ein Taxi, am Gerät kann man selbst den Tip eintragen. 12$ für 2 km, 22.55 Uhr checke ich im Country Inn & Suites ein. Zimmer 223 ist in ersten Stock, ich schalte den Kühlschrank aus und die Klimaanlage kurzfristig an. Dann falle ich ins Boxspringbett.