Gegen sechs Uhr werde ich wach, fühle mich erholt und ausgeschlafen. Im kleinen Bad lasse ich das Haare waschen sein, gegen zehn Uhr bin ich ja schon im B&B, da gibt’s dann eine ausgiebige Dusche. Im Speisewagen treffe ich unsere Zugbegleiterin Cloudette. Seit 31 Jahren macht sie nun diesen Job, seit 5 Jahren nur noch diese Strecke. Churchill sei ein Ort, an dem man einfach nichts planen könne, es würde eh anders laufen. Sie wünscht mir dennoch Glück bei der Eisbär-Suche und meint, ich könne mich auf sehr freundliche Menschen freuen, das ginge da gar nicht anders. Außer ihr und dem Bistro-Mann sind noch zwei Zugführer an Bord. Diese werden bei den Halten, wo wir unsere Frischluft-Stopps gemacht haben (plus zwei Stopps in der Nacht, von denen ich nichts mitbekommen habe), durch andere ersetzt. Nur so sei es möglich, die Sicherheit an Bord zu gewährleisten. Sie mag die Atmosphäre dieses Zuges, diese Familie, wo jeder nach zwei Stopps weiß, wer noch an Bord ist und auf wen man noch warten muss. Ich baue die Sitze wieder um, in ca. drei Stunden endet die Fahrt und irgendwie habe ich nicht das Gefühl, dass zwei Tage und Nächte vergangen sind. Wo ist die Zeit geblieben?
Hab Sonne im Herzen
Auf dem Panorama-Deck treffe ich einen noch ziemlich verschlafenen Paul – Erics Bistro hat noch geschlossen und ihm fehlt der Kaffee. Er telefoniert täglich mit seiner Frau und seinen drei erwachsenen Kindern. Die Landschaft ist nur noch platt, der Boden mit Flechten bedeckt. Paul spielt mit mir „I spy, i spy with my little eye and see: a tree!“ 🤣 Es werden mehr Bäume, zahlreiche Seen legen Zeugnis ab für den Klimawandel – in guten Jahren sind sie jetzt schon zugefroren. Es tröpfelt ein wenig, die Wolken vermasseln mal wieder einen Sonnenaufgang. Wir sind beide der Meinung, dass man nur nach Churchill reisen kann, wenn man fröhlich ist und mit sich selbst im Reinen. Sonst würde man diese Einöde vermutlich nicht lange ertragen.
Hinten auf dem Deck sitzt Gerd aus Deutschland, er war Pfarrer bei der evangelischen Kirche in Hamburg, ist jetzt im Ruhestand. Die Polar-Bear-Tour ist ihm zu teuer, aber er hat hier einen Schlafwagen gebucht. Die Mietwagen in Churchill wirkten ihm auf den Bildern zu abgeranzt und teuer, daher hat er Sarah, die Besitzerin des B&B, wo auch ich unterkomme, gefragt, ob er ihren Jeep nutzen darf. Das macht sie gern für einen Mann der Kirche. (Seine Worte, nicht meine, aber es passt leider mal wieder ins Bild.) Als ich ihm sage, dass ich mit dem Bus und dann zu Fuß vom Flughafen Winnipeg zum Bahnhof gelangt bin, ist er baff: „Ich habe 30$ für ein Taxi bezahlt! Und Sie haben gar kein Gepäck?“ Doch, knapp 20 kg. Das könne man doch gar nicht einen Kilometer bewegen. Er hat arge Probleme mit dem Jetlag, war die letzten zwei Wochen noch in Georgien und Armenien, um eine Reise vorzubereiten, dann zwei Tage Hamburg, dann jetzt diese Tour. „Wenn ich keine Eisbären sehe, weiß ich nicht, was ich machen soll, das ist doch der Hauptgrund der Reise! Aber ich bin ja sieben Tage da, da wird es gelingen, danach geht’s mit dem Zug zurück nach Winnipeg und dann wieder nach Hause. Ich hab extra zwei Koffer bei mir Thermo-Kleidung und so, es braucht ja auch seine Zeit, um sich zu akklimatisiert.“ Mir kommt eine Kurzgeschichte in den Sinn, bei der ein Ureinwohner eine Reisegruppe begleitet und irgendwann einfach zwei Tage an einem Ort bleibt. Als man ihn fragt, warum er nicht weitergehen würde, antwortet er, dass seine Seele noch unterwegs sei und er auf sie warten würde.
Arrival Churchill
Zurück am Platz packe ich – wenn auch nicht sehr ordentlich – meine Sachen zusammen und lasse die Landschaft vorbeiziehen. Wir erreichen um 8.45 Uhr Churchill. Es ist eisig, der Wind pfeift uns um die Ohren. Ich sehe direkt einen Mann mit einem Zettel, auf dem auch mein Name steht. Insgesamt sind wir fünf Gäste, doch das Auto ist zu klein. Das Pärchen, das zwei Reihen vor mir in Zug saß, fährt zusammen mit mir, Gerd und ein anderer Mann müssen noch ein wenig warten. Es sind nur ein paar Hundert Meter bis zu Sarah’s Dreamhouse. Die Schuhe bleiben im Vorraum, es schließt sich ein großzügiges Wohnzimmer mit angrenzender Küche und Esszimmer an. Wie viele Zimmer es hier gibt, kann ich nicht genau erkennen. Es gibt zwei Badezimmer mit Dusche und Toilette, leider liegen die genau neben meinem Zimmer. Wenn der Lüfter läuft, höre ich ihn. Die Tür hat zudem einen 5cm breiten Spalt unten, den Sinn dahinter habe ich noch nicht verstanden. Mama und Papa rufen an, Mama ist völlig begeistert, dass sowas trotz der Entfernung klappt. Ich ziehe die dicke Hose mit Fleeceeinsatz an und mache mich auf den Weg.
Touristeninformation
Der Nieselregen wird vom Wind ordentlich ins Gesicht gepeitscht, ich bin dankbar für Mütze, Handschuhe, Schal und Winterjacke. Zunächst geht’s zur Touristeninformation, die im Bahnhof untergebracht ist. Ein ziemlich gut aussehendes Exemplar von Mann kreuzt mir auf dem Stadtplan alle Restaurants und Sehenswürdigkeiten an, die sich lohnen. Für das Dinner empfiehlt er mir die Kantine des Krankenhauses. „Sounds strange, but it is true!“, sagt er mit einem Lächeln, das mein Herz erwärmt. Er lädt mich ein, noch das kleine Museum hier zu besuchen, das die Geschichte des Ortes darstellt. Ausgestopfte Tiere und Inuit-Behausungen werden liebevoll präsentiert, alle Infos sind auf Englisch und Französisch verfasst. Zurück im Eingangsbereich kommt der sexy Typ hinter seinem Tresen hervor und fragt, ob ich noch irgendwelche Fragen hätte. Mein Kopf ist leer und ich bedanke mich lediglich herzlich. Ich schieße noch ein Selfie von mir mit dem Eisbären und begebe mich wieder an die frische Luft.
Lunch und Museum
Wie empfohlen gehe ich zum Krankenhaus. Das riesige Gebäude beheimatet auch eine Schule, die Bücherei, eine Sporthalle, eine Eisbahn, einen Indoor-Spielplatz und eine Apotheke. Das Krankenhaus hat mehrere Abteilungen, es herrscht eine ruhige und entspannte Atmosphäre. Das Karabu-Cafe ist eine einfache Kantine, heute steht Reis mit Gemüse oder Chicken-Burger mit Pommes auf der Tafel. Der Burger wird frisch zubereitet, dazu nehme ich noch einen Coleslaw. Ich habe kaum aufgegessen, da kommen Paul und Hugh und fragen, ob sie sich zu mir setzen dürfen. Hugh muss seine Frau besänftigen, der er gesagt habe, er sei jetzt im Krankenhaus (und nicht erwähnt hat, dass er dort nur zum Essen hingeht). Die beiden geben mir noch Tipps für den Tag und den Abend, dann verabschiede ich mich und besuche das kleine Museum nebenan. Das Itsanitaq Museum zeigt Kunst der Inuit. Im Supermarkt gibt es von Cola über Obst und Schnaps bis hin zu Möbeln nahezu alles. 45$ ärmer stelle ich fest, dass wir uns in Deutschland echt nicht über hohe Lebensmittelpreise beklagen sollten. Ja, hier muss alles mühsam hingebracht werden, aber die Menschen, die hier leben, müssen ja auch hier einkaufen und zahlen dann für eine 0,3 l Cola umgerechnet 2€, eine Packung Philadelphia liegt bei 5€. Ich kaufe eine davon, etwas Wurst , Schokolade und Brötchen. Das reicht für die Abendessen.
Aufwärmen
Im Haus wärme ich mich auf, lese ein bisschen, schreibe was für den Blog. Draußen kommt die Sonne raus, also nochmal die dicke Hose an und raus. Der Wind pfeift, aber die Luft ist klar und wunderschön. Ich schlendere durch die Straßen, kann mich nicht satt sehen an der endlosen Straße ins Nichts. Die Sonne geht noch nicht unter, ich nehme auf einer Bank Platz, lese und warte auf das Sinken der Sonne, das sich einfach nicht einstellen will. Mir wird kalt, ich gehe zurück, erhasche doch noch einen Blick auf den Sonnenuntergang. Die Häuser entlang der Straßen wirken nicht so, als ob sie eine hohe Energieeffizienz hätten… Ich schmiere mir ein Brot, dann verziehe ich mich für den Rest des Tages aufs Zimmer. Der elektrische Heizkörper macht entweder gar keine Wärme oder ganz viel davon. Mal schauen, wie die Nacht wird. Bereits um 20.15 Uhr fallen mir schon die Augen zu.











