Die Nacht verläuft relativ ruhig. Gegen drei Uhr passieren wir The Pas, hier ist mehr Leben als in den kleinen Orten zuvor. Immer wieder werde ich wach und versuche eine andere Schlafposition, gegen sieben Uhr stehe ich auf. Noch ungewaschen gehe ich aufs Panoramadeck. Paul sitzt mit Minions-Boxershorts und T-Shirt bei einer Tasse Kaffee. Er ist mit einem Freund unterwegs, sie bleiben sieben Tage in Churchill, haben alle Aktivitäten gebucht, die man da buchen kann. Verrückt. Findet er mich auch, weil ich nur zwei Tage bleibe. Und dann mit dem Zug wieder zurück. Im Sitzen! Oh. My. God. Ich habe Mühe, seinem Englisch zu folgen. Verstehe aber, dass der Zug alle paar Meilen langsamer fährt, damit jemand rausgehen und alle Bremsen und Reifen überprüfen kann. Melissa mit Mann kommt für ein Foto vom Sonnenaufgang, der aber von den Wolken verhindert wird. Mit dem Weitwinkel mache ich ein Foto aus dem vorderen Fenster über den Zug hinweg. In der Spiegelung sieht man die Menschen, die im Panoramawagen sitzen. Paul ist begeistert, fragt, was für ein tolles Handy das bitte sei. Google Pixel 7a gewinnt hier deutlich vor den iPhones. Sorry 🤷🏽😄Und Danke an Matze für die Entscheidungshilfe.
Tagesanbruch
Ich wasche Haare und Gesicht, putze die Zähne und ziehe mir wieder die Jeans an. In Waboden gibt’s um 8 Uhr einen Stopp zum Füße vertreten. Der Himmel ist wolkenverhangen, aber es ist trocken. Ich baue das „Bett“ wieder um und frühstücke. Dabei fällt mir ein, dass ich gestern Abend die Medikamente vergessen habe. Nunja. Wird nicht so schlimm sein… Die Birken rechts und links der Bahntrasse erstrahlen in den Farben des Indian Summer, diverse Nadelhölzer ragen sprickelig in den Himmel. Der Boden ist überwuchert mit Flechten, an anderen Stellen wiegt sich das Schilf im Wind, jeder zweite See hat einen Biberdamm. Ich mag mir nicht ausmalen, wie der Zug hier bei Hochwasser überhaupt fahren kann. Um 10.30 Uhr erneut ein kurzer Stopp: in Thicket Portage werden Müllbehälter getauscht, außer drei kleinen Häusern ist hier nicht viel zu sehen.
One Hour to Thompson
Die bunten Laubbäume weichen laublosen Birken und sattgrünen Nadelbäumen. Am Rande der Bahnstrecke liegen alte Holzschwellen, umrahmt von Plastikflaschen und anderem Müll. Die Zugbegleiterin sammelt selbigen hier ein und wischt die sanitären Anlagen. Alle Fahrgäste verhalten sich mustergültig, es ist irgendwie eine eingeschworene Gemeinschaft. Der Zug muss halten, weil einer der Crew draußen mal eben die Weiche stellen muss. Hier wird noch von Hand gekurbelt. Die Sonne lacht vom fast wolkenlosen Himmel. Ich lese „Das Kind in mir will achtsam morden“, nach jedem zum Glück sehr kurzen Kapitel gibt’s eine Pause zum Aus-dem-Fenster-schauen. Ganz achtsam. Das Gleisbett nebst Schotteruntergrund scheint runderneuert. Wir fahren im Schritttempo an einem entgleisten Güterzug vorbei. Er liegt auf dem Rücken, die Räder ragen in den Himmel oder liegen ebenfalls am Boden. Große blaue Planen bedecken ihn nur notdürftig. Kurz vor Thompson fährt der Zug einmal rückwärts – er macht Platz für den Zug aus Norden. Eine Stunde stimmt auch nicht, mittlerweile sind über zwei Stunden vergangen. Eric, der Mann vom Bordbistro, verabschiedet sich, er öffnet wieder um fünf Uhr.
Zeit in Thompson
Bis 16.30 Uhr, also 3,5 Stunden, haben wir in Thompson Zeit, uns die Beine zu vertreten, etwas zu essen. Wir sollen alle raus, weil der Zug gründlich gereinigt für die Weiterfahrt vorbereitet wird. Bis Churchill sind es noch 16 Stunden, 25 haben wir hinter uns. Das Gepäck darf im Zug bleiben, die Wertsachen nehme ich alle mit (inkl. Kamera). Ich trotte Paul und weiteren Reisenden hinterher, bis zur Stadt sind es knapp 2,5 km. Im Canadian Tire gibt’s für Pauls Freund Hugh (der ständig „Dirty old town“ pfeift) neue Spielkarten und für mich ein bisschen WLAN. Er will mit den anderen in ein Pub, ich habe Hunger und brauche eine Pizza. Für 5$ gibt’s eine Ecke mit Käse, die mehr als ausreichend ist. Im Walmart erstehe ich Kekse und Cola, bei McDonald’s gibt’s einen McFlurry mit Oreos und so gutes WLAN, dass ich den Post von gestern absetzen kann. Papa und Mama versuchen einen Videocall, aber der Hintergrund ist bei mir zu laut und so reicht es nur für ein Winken. Auf dem Rückweg treffe ich Paul und den Rest wieder, viel zu früh sind wir zurück am Zug. An der Station gibt’s, wenn man richtig steht, sogar ein bisschen WLAN. Der Wind frischt auf, um 16.30 Uhr öffnen sich wieder die Türen.
Thompson to Churchill
Neben den bekannten Reisenden steigen neue zu, dummerweise setzt sich auch einer direkt vor mich. Das war es dann wohl mit dem Ausstrecken. Oder ich muss mich umdrehen, Mal schauen. Es ist ja noch etwas Zeit bis dahin. Pünktlich um 17 Uhr starten wir zum zweiten Teil der Reise, 16 Stunden noch bis Churchill. Ich lese und lade das Handy auf, knabbere einen Keks mit Schokolade und Karamell und trinke eine Cola dazu. Der Zug fährt 90 Minuten die Strecke zurück, die er gekommen ist. Das erklärt auch den langen Aufenthalt: in der Zeit muss der Zug aus Churchill nach Thompson rein und wieder raus und die Leute sollen Zeit haben, dort noch schnell einzukaufen. Der Aufenthalt dauert dann nur ca. 2,5 Stunden. Das werde ich Sonntag erleben.
Zweite Nacht im Zug
Um 19 Uhr machen wir einen Frischluft-Stopp in Pikwitonei, drei große Hunde begrüßen die Reisenden freundlich. Es ist schon merklich kühler, die Sonne versinkt am Horizont. Der Herr vor mir ist noch nicht da, also baue ich mein Nachtlager wie gewohnt auf. Der große Waschraum mit Wickelkommode ist defekt und darf nicht genutzt werden, also begebe ich mich am anderen Ende des Waggons zu einem anderen. Das Umziehen ist eine Herausforderung, es gibt nur ultra-heißes Wasser, mit dem ich mich fast verbrühe. Ich lagere alle Sachen am Platz und gehe zu einer Toilette anderen Wagen, um mein Gesicht noch zu waschen. Kaum liege ich quer im Bett, fallen mir gegen neun Uhr auch schon die Augen zu.















