Freitag, 23. August 2013

Von wegen früh ins Bett.. Mit meinen Zimmergenossinnen Giorgia aus Rom und Yuki aus Tokio quatsche ich noch bis 2 Uhr nachts. Während ich Programmiererin Giorgia sehr gut verstehen kann, fällt es mir bei Yuki schwer, dem abgehackten Englisch zu lauschen. Yuki will morgen einen Tagesausflug nach Tallinn machen, Giorgia nach Soumenlinna fahren.

In die Erde und in die Höhe

Als Yuki gegen acht Uhr das Zimmer verlässt, werde ich wach. Ich habe tief und fest geschlafen. Nach einer erfrischenden Dusch (der Duschkopf ist kaputt und es kommt nur ein dicker Strahl herausgeschossen) plane ich den Tag. Giorgia wird wach, macht sich fertig und geht. Auch meine Planungen sind abgeschlossen und ich verlasse das Haus. Es zieht mich in den Norden zur Felsenkirche, die nicht weit entfernt ist. Dummerweise öffnet sie erst um 10 Uhr, ich schlage die Zeit mit Sudoku-Lösen herum. Die Kirche wurde 1969 von Timo und Tuoma Soumalainen gebaut. Im Innern fällt durch Deckenfenster Tageslicht in den kargen Raum. Ein 22 km langes Kupfergerüst bildet die Kuppel der Kirche. Neben dem Altar steht ein Flügel, an dem ein junger Pianist Peer Gynts “Morgendämmerung” spielt. Ich verlasse die Kirche und gehe weiter Richtung Norden. Mein Magen knurrt. Am Café Regatta im Ortsteil Töölö kaufe ich mir eine der vielgelobten Zimtschnecken und gönne mit eine heiße Schokolade – diesmal richtig! IMG_6926 Mit Blick auf die Bucht genieße ich beides und überquere dann die Straße zum Sibelius-Denkmal. Das von Eila Hiltunen entworfene Objekt ist einer Orgel mit 600 Pfeifen nachempfunden und wurde 1967 eröffnet. Ich habe das Gefühl, dass zwar viele ein Foto von der Orgel machen, aber keinen blassen Schimmern haben, wer Sibelius eigentlich war. Steht auch nirgends (außer in dem ein oder anderen Reiseführer), dass er ein berühmter finnischer Komponist war (1865 – 1957). Durch den Park geht es weiter zum 1938 erbauten Olympiastadion. 1952 fanden hier die XV. Olympischen Sommerspiele statt und wenn man auf den knarzenden und abgegriffenen, aber von zeitlosem Design geprägten Holzbänken auf den Rängen sitzt, meint man die Stadiondurchsagen zu hören, den Wind zu spüren, den die Läufer bei ihrem Spurt hinterlassen, den Sand nach einem weiten Sprung aufwirbeln zu sehen. Ich war zwar noch nicht in vielen Stadien, aber  dieses hat es mir zweifelsohne angetan. Der Eingang zum Stadion wird von IMG_6947 einem 72 m hohen Turm flankiert. Von oben hat man eine grandiose Sicht über die Stadt – und das olympische Freiluft-Schwimmstadion, das an das Debakel von Athen erinnern lässt (Eine ehemalige deutsche Schwimmerin ging bei den olympischen Spielen so richtig baden und redete sich damit heraus, dass sie unter freiem Himmel das Wasser nicht richtig hätte spüren können.). Die komplette Anlage entstand als Resultat eines Architektenwettbewerbs, den Yrjö Lindefren und Toivi Jäntti mit ihrem stilreinen funktionalistischen Entwurf gewannen.

Schneeweiß und Indigoblau

Am Töölönlahti entlang geht es Richtung Innenstadt. Westlich des Hauptbahnhofes erhebt sich auf einem Hügel der mächtige Dom. Schneeweiß IMG_6977 leuchtet er vor strahlendblauem Himmel, die Sonne wirft ihre Strahlen auf die goldenen Spitzen. Der Berliner Architekt Carl Ludwig Engel hat sowohl den Dom  als auch den tiefer gelegenen Senatsplatz entworfen und zwischen 1822 und 1852 verwirklicht. Im Innern des Doms ziert kein einziges Bild die schlohweißen Wände, imposant wölben sich die Kuppeln über dem Kirchenschiff. Viele Stufen geht es abwärts zum Senatsplatz, es erinnert ein wenig an Sacré Coeur.  In einem kleinen Laden bin ich versucht, die ersten Euros für finnische Designprodukte auszugeben, lasse es dann aber bleiben. Auf der Sofiankatu geht es bis zum Markt, der direkt an der dunkelblauen See liegt. Hier liegen die Preise für finnische Handarbeit – die der aus Tallinn zum Verwechseln ähnlich sieht – deutlich höher als in der estnischen Hauptstatt. Für eine Kuksa muss man hier 35,- € auf den Tisch legen, Buttermesser gibt es ab 3,- € aufwärts. An einem Stand erstehe ich ein für diese Verhältnisse günstiges Mittagessen: Gemüse mit Kartoffeln und zwei große Rentierfrikadellen für 10,- €. Um die Kalorien gleich wieder loszuwerden, begebe ich mich zur Uspenski-Kathedrale am Yachthafen. Sie wurde 1868 fertiggestellt und ist die größte orthodoxe Kirche Westeuropas. Der Innenraum ist geprägt von viel Gold und zahlreichen schlanken Bienenwachskerzen, die die Besucher in die dafür vorgesehenen Sand-Behälter stecken.

Klare Formen, wenig Brimborium

Am Park zwischen Eteläesplanadi und Pohioisesplanadi geht es bis zur Korkeavourenkatu. Das Militärorchester Nordsee – ganz in weiß gekleidet – spielt ein Konzert zur Mittagszeit. Natürlich klatschen alle Deutschen fleißig auf eins und drei mit. Auf den Straßen reiht sich ein Design-Laden an den anderen. Klare Linien bestimmen das nordische Design, pfiffige Schnitte, klare ausdrucksstarke Farben. Ich sitze auf Stühlen Probe, ich ich mir dann werde leisten können, wenn ich drei Monate lang keine Kosten  (Essen,  Kleidung, Miete, Versicherung…) habe. Naja, wenn ich einen besser bezahlten Job hätte, ginge das auch schneller :-). Aber selbst dann sind die Summen, die man für einen Designer-Stuhl auf den Tisch legen kann, unglaublich hoch. Dennoch zieht es mich in jeden Laden, von dem man nur ahnen kann, dass sich ein wenig nordisches Design darin verbirgt. Würde ich mein String-Regal im Wohnzimmer neu kaufen wollen, müsste ich für zwei Seitenteile und drei Bretter 90,- € auf den Tisch legen. Da kommt dann doch einiges zusammen, wenn ich mir mein Wohnzimmer mal so vor Augen führe… Im Shop des Design-Museums lacht mich erneut ein Nudellöffel in Form eines Baumes an. Doch ich kann mich immer noch nicht dazu entschließen, ihn zu kaufen. Naja, morgen ist ja auch noch ein Tag.

Hektik und Ruhe liegen nah bei einander

Ich schlendere gemächlich bis zum Stockmann-Einkaufszentrum. Unterwegs gönne ich mir einen Nachtisch in Form eines gefrorenen Joghurts mit Mangostücken, Cashew-Kernen und Zartbitterschokolade. Im größten Einkaufszentrum der nordischen Länder schließlich gibt es alles, was das Herz begehrt – zum Teil zu Preisen, bei denen einem schlecht werden kann. Die Kuksa kostet sage und schreibe 59,- €. Nur gucken, nicht kaufen, lautet in vielen Abteilungen meine Devise. Im zweiten Untergeschoss befindet sich ein Supermarkt. Hier wird das Brot abgewogen und so der korrekte Preis ermittelt. Wäre das bei uns auch so, wüsste man, welcher Bäcker keine Luft verbackt. Für einen kleinen Salat, ein kleines Baguette, einen Orangensaft, eine Flasche Wasser, eine Zimtschnecke und ein bisschen Schokolade werde ich 13,- € los. Bäm. Der Weg zum Hostel führt an der Kapelle der Stille vorbei. IMG_7025 Das Architekturbüro K2S hat diesen Holzbau entworfen, der seit Mai 2012 mitten im trubeligen Viertel in Kamppi  steht. Am Rande des Narinkka-Platzes gelegen soll die Kapelle Besuchern einen Ort der Stille bieten, Taufen oder Eheschließungen sowie Gottesdienste sind nicht vorgesehen. Ja, genau das braucht diese Stadt auch. Ohne wirkliche Innenstadt, in der man auch einmal verweilen kann, knattern ständig Autos und Motorräder über das Kopfsteinpflaster der Straßen, hasten Menschen von einem Laden in den Nächsten.  Stillstand ist der Tod. Der Entwurf der Kapelle wurde mit dem Preis “The Chicago Athenaeum International Architecture Award 2010” ausgezeichnet und gehört zum World Design Capital Helsinki 2012”-Programm. Mitarbeiter des Sozialamtes und der Kirchengemeinde stehen während der Öffnungszeiten für Gespräche zur Verfügung. Ich nehme auf einer der Holzbänke Platz, der Lärm und die Hektik der Stadt werden umgehend ausgeblendet. Durch die Holzbauweise fühlt sich der Raum sofort warm an, sanftes Licht fällt durch einige Fenster im Dach. Mit einem Mal kann ich “unsere” Kapelle am Eulenspiegel fühlen, einen Raum, der durch herabfallendes Licht in Szene gesetzt wird. Ich kann auf einmal verstehen, warum es den Verantwortlichen im EGV so wichtig war, das Äußere “auszusperren”. Ja, manchmal braucht es diesen Ort der Stille, einen Ort der Ruhe und Gelassenheit. Ich hänge meinen Gedanken nach und verweile fast eine halbe Stunde in dieser “palm of his hand”, wie es in den irischen Segenswünschen heißt.

Abend wird es wieder…

Meine Füße sind nach 10 Stunden Stadterwandern langsam müde, meine 15 Jahre alten Teva-Sandalen haben vermutlich ihre Pflicht und Schuldigkeit getan, das Fußbett federt nicht mehr jeden Stoß so ab wie früher. Zurück im Hostel heißt es daher “Füße hoch”, Finanzlage checken, Karten und Tagebuch schreiben.

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